Die beiden weltbekannten Mineralwasser-Orte liegen direkt nebeneinander. Beide besitzen Quellen, deren Wasser mit hohem Mineralgehalt schon von den Römern geschätzt wurde. Und beide besitzen alles, was ein klassischer Badeort der Belle Époque vorweisen können sollte: Casino, Kurpark, Wandelhalle, Trinkbrunnen…
Lothringen
Vaucouleurs
Noch so ein Jeanne-Ort: Nach Vaucouleurs, etwa 15 Kilometer nördlich von Domrémy führte Jeannes erster Gang. Oder vielmehr die ersten drei, denn zweimal blitze sie ab beim Versuch, den königlichen Festungskommandanten zu sprechen.
Domrémy
Domrémy ist heute ein kleines Dörfchen mit 125 Einwohnern an der Maas, die hier ein breites und flaches Flußtal bildet.
An der Maas
Während alle anderen Hasen an Ostern Sonderschichten einlegen müssen und neben dem Eierverstecken auch noch sämtliche Schaufenster bevölkern müssen, verbringt der Reisehase die Ostertage wie schon im vergangenen Jahr dort, wo es richtig schön ist.
Nancy: Art Nouveau
Nancy gilt als französisches Zentrum des Jugendstils, der hier Art Nouveau heißt. 1901 war die École de Nancy gegründet worden, als Zusammenschluß der bedeutendsten Künstler und Kunsthandwerker des Art Nouveau, darunter der Designer Louis Majorelle, der Schmuckkünstler René Lalique und vor allem Émile Gallé, der auch erster Präsident der Schule wurde. Gallé stammte aus Nancy; seine Glas- und Keramikarbeiten waren schon zu seinen Lebzeiten berühmt und zählen heute als Meisterwerke des Designs, die auf Auktionen exorbitante Preise erzielen.
Im Westen Nancys steht das Musée de l’École de Nancy, das neben den Glasarbeiten Gallés auch Jugendstil-Möbel aus den in Nancy angesiedelten Werkstätten zeigt. Untergebracht ist das Museum im Haus des Unternehmers Eugène Corbin, der eine Warenhausgruppe leitete und die École de Nancy seit ihrer Gründung als Mäzen unterstützt hatte. Seine Sammlung an Jugendstil-Objekten bildet den Grundstock des Museums.
Außerdem bietet das Museum auch Material für ein noch zu schreibendes Werk über die Bedeutung des Hasen im Werk von Émile Gallé. Die darf natürlich nicht unterschätzt werden. ?
Einfluß hatte die École de Nancy auch auf die Architektur, und in Nancy finden sich einige Beispiele schöner Jugendstil-Architektur, vor allem in der westlichen Innenstadt, wo um die Jahrhundertwende größere Neubauviertel entstanden. Nancy zählt heute etwa 300 bis 400 Jugendstil-Gebäude. An der Ecke Rue Bénit / Rue Saint-Jean steht zum Beispiel das ehemalige Geschäftshaus Génin-Louis (1901, Henri Gutton) mit diesem wunderbaren Balkon.
Noch ein Beispiel, aus etwas späterer Zeit (1922) und daher schon mit deutlichem Art-Déco-Einfluß: Die Pharmacie du Point-Central in der Rue Saint-Georges
Nancy: Place Stanislas
Stanislas Leszczynski: Wie wird ein Pole lothringischer Herzog? Das war das Ergebnis eines dieser komplexen Wechselspiele unter den europäischen Herrscherhäusern, wie sie zur Zeit des Absolutismus ja in Mode waren. Beteiligt (aktiv oder passiv) waren unter anderem das Haus Habsburg (also Österreich-Ungarn), Frankreich, Polen, Lothringen, die Toskana, Spanien und das Königreich beider Sizilien, und der Versuch, Konstruktion und Hintergründe komplett nachzuerzählen, würde den Text hier sprengen, und das liest dann endgültig keiner mehr. Möglicher Suchbegriff: Wiener Präliminarfrieden (1735).
Also ganz kurz: Damit der lothringische Herzog Franz III. Stephan die österreichische Kaiserin Maria Theresia heiraten durfte, erhielt er die Toskana. Stanislas Leszczynski, der polnische König und Schwiegervater des französischen Königs Ludwig XV., erhielt dafür 1737 die Herzogtümer Lothringen und Bar. Ursprünglich stand hier auf der Place Stanislas ein Denkmal für Ludwig XV., das aber die Französische Revolution nicht überstand. An seine Stelle trat das 1831 errichtete Stanislas-Denkmal.
Stanislas war nur ein Spielball der europäischen Großmächte und auch hier in Lothringen kaum mehr als eine Operettenfigur; die polnische Krone hatte er abgeben müssen, und der lothringische Herzogstitel war mehr oder weniger rein repräsentativ. Außerdem war vertraglich festgelegt worden, daß das bisher unabhängige Herzogtum Lothringen nach Stanislas’ Tod endgültig an Frankreich fallen sollte (was dann 1766 auch passierte, als er im stolzen Alter von 88 Jahren starb – übrigens an Verbrennungen, die er sich zuzog, als seine Kleidung am Kamin Feuer fing).
Der Schriftsteller Gerhard Nebel ließ im Merian-Heft zu Lothringen (9/1968) in seinem Artikel über Nancy kein gutes Haar an Stanislas: Der sei eine “feiste Operettenfigur”, “bigott” und “knirpsig” und sowieso eine “windige Figur”, ein Herrscher, bei dem er “menschliche Größe” vermißte und der “zeit seines Lebens ein Parasit” gewesen sei. Hui. Böse, böse. Der Reisehase wüßte ja, über wen er so schreiben würde, aber warum soll er sich mit dem Führungspersonal des FC Bayern beschäftigen? ?
Was dann aber auch Nebel zugestehen mußte: Der tatsächlich stark übergewichtige und zudem schwer gichtkranke Stanislas hat ein prachtvolles Erbe hinterlassen. Er ließ als Verbindung zwischen der Altstadt und der Neustadt Nancys eine neue Residenz errichten und daran anschließend einen großen Paradeplatz, der heute seinen Namen trägt und einer der schönsten Stadtplätze Europas ist. Stanislas betätigte sich außerdem intensiv als Mäzen der Künste und Wissenschaften und verbesserte die medizinische Versorgung der Armen. Ganz so negativ dürfte das Urteil der Nachwelt also eigentlich nicht ausfallen.
Bis 1983 diente der Platz als Parkplatz; seit der letzten Umgestaltung anläßlich der 250-Jahr-Feier des Platzes im Jahr 2005 ist er nun komplett autofrei, was dem Gesamtensemble deutlich zugutekommt. Um den Platz stehen mehrere Stadtpalais, die unter anderem ein Opernhaus beherbergten, sowie das monumentale Rathaus, das die komplette südliche Seite des Platzes einnimmt.
An der Nordseite steht, etwas zurückgesetzt zwischen den niedrigen Pavillons, der Triumphbogen Arc Héré (benannt nach dem Architekten des Ensembles), durch den man von der Place Stanislas zur langgestreckten Place de la Carrière kommt.
Dieser Platz führt dann zur ebenfalls von Emmanuel Héré errichteten Neuen Residenz (1751-53).
Aber nochmal zurück zur Place Stanislas. Ein besonderer Blickfang sind die schmiedeeisernen und üppig vergoldeten Gitter, die Jean Lamour, ein lothringischer Kunstschmied, schuf.
Viel Platz und viel Prunk also. Absolut angemessen für den Reisehasen:
Nancy
Nancy hat, im Gegensatz zu den meisten anderen größeren lothringischen Städten (Metz, Toul, Verdun…) keine römischen Wurzeln. Dennoch avancierte die Stadt im 13. Jahrhundert zur Hauptstadt des Herzogtums Lothringen.
Ältester Kern der Stadt ist die im späten 13. Jahrhundert entstandene heutige Altstadt.
An deren Rand steht die Porte de la Craffe. Das gotische Stadttor aus dem 15. Jahrhundert zeigt an der stadtzugewandten Fassade das lothringische Kreuz. Die beiden Rundtürme dienten im Mittelalter als Kerker.
Etwas südlich der Altstadt wurde in der Renaissancezeit auf planmäßigem Grundriß die sogenannte „ville neuve“ angelegt; für den Bau der Neustadt wurden italienische Architekten nach Lothringen berufen. Es entstand ein Viertel mit Straßen im Schachbrettmuster und teils breiten Boulevards, wie die beiden parallel in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen, die heute Rue des 4 Églises / Rue des Carmes und Rue Saint-Dizier heißen und die zentralen Achsen der Neustadt darstellen.
In der Neustadt steht auch die barocke Kathedrale:
Als Abschluß der Neustadt nach Norden dient der langgestreckte Platz Cours Léopold, dessen nördliches Ende wiederum die Porte Désilles ziert. Triumphbogen, Stadttor und Kriegerdenkmal in einem, wurde sie 1782-84 im Gedenken an die während des amerikanischen Unabhängigkeitskampfes gefallenen Lothringer errichtet. Sie ist somit das älteste erhaltene Monument aux Morts in Frankreich. Ihren heutigen Namen erhielt sie nach dem während der Nancy-Affäre 1790 (einem Soldatenaufstand) erschossenen Leutnant André Désilles.
Ab 1752 setzte dann Stanislas Leszczynski zwischen die Altstadt und die Neustadt ein neues Zentrum im Barockstil, mit einem neuen Rathaus, einem neuen Herzogspalast und der vom Architekten Emmanuel Héré entworfenen Place Stanislas als Glanzpunkt. Der Platz erfordert einen eigenen Artikel. Kommt gleich. Durch eines der vergoldeten Tore des Platzes kommt man in den großen Parc de la Pépinière, wo sich an diesem sonnigen, warmen Februarsonntag nachmittags die halbe Stadt zum Sonntagsspaziergang einfindet. Man nennt den Park meist nur “La Pep” (und die Place Stanislas “La Place Stan”); es gibt offensichtlich eine französische Vorliebe, sich bei längeren Bezeichnungen auf die erste Silbe zu beschränken. Pépinière heißt übrigens Baumschule, und genau das war auch die ursprüngliche Funktion des Parks, den Stanislas 1765 anlegen ließ, um mit den hier gezogenen Bäumen die Straßen seines Herzogtums zu bestücken.
Zur Parkanlage gehört auch ein kleiner Tierpark. Mit… juhuuu! Kaninchen!
Bien entendu: Ce n’est pas juste un simple lapin, mais un “Brun marron de Lorraine”, alors un vrai Lapin Lorrain ! Es gibt aber auch andere Tiere, die stolz vorweisen, was sie zu bieten haben.
Sehenswert ist auch das direkt an der Place Stanislas angesiedelte Musée des Beaux-Arts de Nancy. Hier lohnt übrigens nicht nur die Sammlung einen Besuch, sondern auch das Gebäude selbst, eines der im Zuge der Platzbebauung in der Mitte des 18. Jahrhunderts entstandenen Hôtels. Zur Ausstellung gelangt man zum Beispiel durch das schöne Treppenhaus, dessen Geländer von Jean Lamour stammt, einem Kunstschmied, dem wir gleich auf der Place Stanislas nochmal begegnen werden.
Die Sammlung des Museums ist umfangreich und reicht vom ausgehenden Mittelalter bis zur Gegenwartskunst.
Schwerpunkte bilden vor allem die Barockzeit und der Naturalismus. Außerdem finden sich hier viele Werke lothringischer Maler, weshalb natürlich auch der schon im Beitrag zum Salzland erwähnte Georges de la Tour und der Landschaftsmaler Claude Lorrain nicht fehlen dürfen. Eine echte Entdeckung für mich waren auch die Bilder des aus Dieuze stammenden Émile Friant, wie dieses Herbstidyll (“Les Amoureux”).
Die Ausstellung reicht aber bis zur Gegenwartskunst. In den Infinity Mirror Room von Yayoi Kusama kann man sogar hineingehen und sich dort an Lichtern und Spiegelungen schwindlig gucken (was gar nicht lange dauert).
Lunéville und Léomont
Östlich von Nancy liegt Lunéville am Ufer der Meurthe und der Vezouze (hier im Bild ein Seitenarm der Vezouze).
In Lunéville entstand ab 1702 das “lothringische Versailles”, als die Stadt nach der Besetzung Nancys durch französische Truppen zur neuen Hauptstadt des Herzogtums Lothringen wurde. Das Residenzschloß Lunéville ist ein Meisterwerk der Barockarchitektur, das allerdings 2003 bei einem Brand schwer beschädigt wurde und seitdem in aufwendigen Arbeiten wiederaufgebaut wird.
Der Ehrenhof mit dem Reiterstandbild des aus Metz stammenden Generals Lasalle, der 1809 in der Schlacht bei Wagram gefallen war, ist bereits wiederhergestellt.
Etwa zeitgleich mit der Residenz erhielt Lunéville auch eine neue Kirche, auch sie im Barockstil. Saint-Jacques wurde 1730-49 errichtet.
Auf dem strategisch wichtigen Hügel von Léomont vor den Toren von Lunéville fand im August 1914 eine drei Tage dauernde Schlacht statt. Dabei wurde der Hügel mehrfach abwechselnd von den französischen und den deutschen Truppen erobert. Die Franzosen trugen schließlich den Sieg davon, der die Deutschen vom Vormarsch auf Paris abhielt. Schwere Verluste aber hatten beide Seiten zu beklagen; die Andenken daran sind hier noch überall zu sehen.
Auf dem Hügel steht heute das Monument de Lorraine (1925 errichtet, 1940 von den Deutschen zerstört, 1965 erneut errichtet).
Die Aussicht von oben reicht weit in die Landschaft des Meurthe-Tals zwischen Nancy und Lunéville.
Unten im Tal fährt man dann immer an der Meurthe entlang nach Westen bis Nancy. Hier steht am Meurthe-Ufer die Kartause von Bosserville, ein heute als Privatschule genutztes ehemaliges Kartäuserkloster.
Saint-Nicolas-de-Port
Saint-Nicolas-de-Port liegt an der Meurthe und gehört schon zu den Außenbezirken von Nancy. Am Fluß waren früher Webereien angesiedelt, deren Gebäude zum Teil noch stehen; auch für sie lieferte die kleine Kraftwerkszentrale im Fluß, die Station Electrique du Champy, den benötigten Strom.
Die Kleinstadt ist aber vor allem wegen eines anderen Gebäudes bekannt, das den gesamten Ort ohnehin weit überragt: Die große Wallfahrtsbasilika Saint-Nicolas mit ihren 85 Meter hohen Türmen und einem Kirchenschiff mit einer Gewölbehöhe von 32 Metern.
Sie entstand um eine Reliquie, ein Stück eines Fingers des Heiligen Nikolaus von Myra, das der lokale Adlige Aubert de Varangéville aus Bari “mitgebracht” (sprich: gestohlen und nach Lothringen geschmuggelt) hatte. Die Akzeptanz solcher Handlungen wie Reliquiendiebstahl war damals umso höher, je wichtiger derjenige war, von dem die Reliquie stammte – und der Nikolaus spielte schon damals in der ersten Liga der Heiligen. Der nicht ganz korrekt verlaufene Import des Fingergliedes verhinderte nicht, daß sich Nikolaus von Myra bald zum Schutzheiligen Lothringens („notre bon advocat et patron“) entwickelte. Saint-Nicolas-de-Port wurde zu einem wichtigen Wallfahrtsort. Um die Pilgermassen aufzunehmen, wurde ab 1481 die große Kirche im Flamboyant-Stil errichtet.
Das sehr hohe Kirchenschiff (die frei stehenden Säulen sind 28 Meter hoch und somit die höchsten in Frankreich) weist eine ungewöhnliche Abweichung aus der Längsachse auf; beim Blick in die Mittelschiffgewölbe wird die auffällige Krümmung deutlich sichtbar.
Dieuze
Dieuze ist trotz seiner nur knapp 3.000 Einwohner eines der Zentren des Pays du Saulnois.
Schon im Mittelalter war es ein wichtiger Haltepunkt an der Salzstraße. Die Saline des Ortes zählte zu den bedeutendsten des Saulnois. Die Gebäude haben sich erhalten und stehen im Zentrum von Dieuze.
An der Place de la Saline ist jede Menge los – zumindest auf einem hier angebrachten sehr gelungenen Trompe-l’œil-Wandgemälde aus dem Jahr 2002; die hier Dargestellten sind sämtlich namentlich bekannte Bewohner von Dieuze. Das Café du Bon Coin allerdings entsprang wohl der Phantasie des Künstlers Greg Gawra.
Der Ort erlitt im 2. Weltkrieg bei amerikanischen Bombardements schwere Schäden; unter anderem wurde dabei auch die alte Pfarrkirche zerstört. Daher erhielt Dieuze 1955 eine neue Pfarrkirche, einen wuchtigen Betonklotz, der von außen nicht viel dahermacht und vor allem beim Blick von Süden kaum an einen Kirchenbau denken läßt.
Die Fassade zum Marktplatz hin ist immerhin etwas lebhafter gestaltet, und die Buntglasfenster sorgen im Innenraum für schöne Lichtspiele. Aber obwohl ich ja ein großer Fan der 50er -Jahre-Architektur bin: Eine echte Schönheit ist Sainte Marie-Madeleine nun wahrlich nicht.
Es geht aber noch deutlich brachialer. Beweis:
Das ist kein Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern die Pfarrkirche im nicht weit entfernten Moyenvic: Auch hier war die alte Dorfkirche im Krieg zerstört worden. 1965 stampfte man diesen Betonwürfel mitten ins Ortszentrum. Immerhin sieht man, wenn man das Gebäude von der anderen Seite her betrachtet, daß es wenigstens ein paar größere Fensterflächen gibt. Ein brutaler Eingriff ins Ortsbild ist der Bau aber natürlich trotzdem.