Maroilles, Jenlain etc.

Jetzt wird es aber höchste Zeit, die kulinarischen Spezialitäten der Region zu würdigen. Nicht nur, daß ich im Hotel in Le Nouvion-en-Thiérache jeden Abend ein hervorragendes Menü serviert bekam…

…es gibt natürlich auch hier regionale Spezialitäten. Ich habe noch keine französische Region gefunden, die diesbezüglich nichts bietet. Und ich war inzwischen überall. 

Die Trappistenbiere hatte ich ja schon erwähnt. Es gibt aber noch mehr. In Maroilles wird ein bekannter Käse produziert, der zwischenzeitlich auch mal als “Fromage des Ch’tis” beworben wurde. Biloute, hein!?

Die Form des Maroilles ist traditonell ein Viereck, und so ist die Form des Carrée des Sauveurs in Maroilles nur konsequent.

Ein paar Kilometer weiter nördlich produziert die Brasserie Duyck das bekannte und recht verbreitete Bier Jenlain.

Cambrai (das gleich noch einen eigenen Beitrag erhält) ist bekannt für die Bêtises, Karamellbonbons mit Minze, die in dieser Form schon seit etwa 1850 produziert werden.

Ein Abendessen hatte ich eigentlich hier geplant: Im Répos du Lièvre in Maubert-Fontaine. Aber der ruhende Hase macht noch bis nächste Woche Ferien. Schade.

Dafür gibt es noch eine Begegnung mit einem Lapin. In Form einer Terrine aux Noix… Ja, ich schäme mich über alle Maßen. Es ging mir aber wie damals Maria Theresia bei der ersten polnischen Teilung: Ich weinte, aber ich nahm.

Macquenoise

Der Grenzort Macquenoise heißt inzwischen auch Courquain Das liegt an dem Film “Rien à declarer” (Nichts zu verzollen), mit Dany Boon als Regisseur und in der Hauptrolle (kennt man in Deutschland hauptsächlich von “Willkommen bei den Sch’tis”). “Rien à declarer” ist auch eine Komödie und behandelt den alltäglichen Kampf zwischen Schmugglern und Zöllnern im kleinen Ort Courquain an der französisch-belgischen Grenze.

Gedreht wurde im echten Grenzort Macquenoise, und an den hauptsächlichen Drehorten sind Infotafeln mit Erläuterungen zum Film aufgestellt.

Warum der Film im Gegensatz zu den Sch’tis in Deutschland fast unbekannt geblieben ist… keine Ahnung.

Riqueval, Le Grand Souterrain

Unter Napoleon wurde er innerhalb weniger Jahre durch den Berg gegraben: Der Kanaltunnel von Riqueval.

Mit dem Canal de Saint-Quentin verband man die Flußsysteme von Seine und Schelde; das Ganze hatte neben der wirtschaftlichen natürlich auch eine militärische Dimension. Wie auch anderswo (Canal de Bourgogne) wird die Scheitelhöhe per Tunnel überbrückt.

Die Besonderheit dieses Tunnels erzählt das Musée du Touage am südlichen Tunnelausgang in Riqueval: Die Schiffe dürfen nämlich nicht selbständig durch den Tunnel fahren; dieser ist mit seinen 5,6 km dafür einfach zu lang. Stattdessen werden sie von Schiffen gezogen, die in einer am Kanalboden liegenden, fast acht Kilometer langen Kette eingehakt sind und durch den Tunnel fahren, indem sie sich an der Kette entlangziehen. Riqueval ist einer der ganz wenigen Orte weltweit, an denen diese Technik der Kettenschiffahrt noch aktiv im Einsatz ist.

Bei einer Geschwindigkeit von laut Infotafel 2,5 km/h, die die Kettenschiffe erreichen, dauert die Tunnel-Durchfahrt also gute zwei Stunden. Eine Mutprobe.

Das nördlichen Tunnelende bei Macquincourt muß man suchen; kein Schild und keine Infotafel weisen darauf hin. Da helfen nur Michelinkarte und ein feines Näschen.

Beides hat der Reisehase natürlich, und er hat Glück (ja, ich könnte es auch als Erfolg minutiöser Reiseplanung verkaufen… war es aber in diesem Fall nicht): Es wird nämlich gerade ein Schiff, die Florence IV, durch den Tunnel gezogen.

Vermandois

Das Vermandois gehört zur Picardie und war im Mittelalter eine Grafschaft mit dem Hauptort Saint-Quentin, dem römischen Augusta Viromanduorum. Der Name kam von dem in dieser Gegend lebenden Keltenstamm der Viromanduer, dessen Name somit in der Grafschaft weiterlebte, sowie in Vermand, einem eher verschafenen Nest, dessen Kirche einen außergewöhnlichen Turm mit offener Spitze besitzt.

In Péronne ist in der Burg das Mémorial de la Grande Guerre, ein Museum über den Ersten Weltkrieg, eingerichtet, und das nicht ohne Grund: Péronne lag im Zentrum der Schlachten an der Somme, dem neben Verdun und dem Chemin des Dames wohl schlimmsten Gemetzel des Krieges, mit über einer Million Toten in vier Jahren Stellungskrieg.

Auch in der Umgebung stößt man überall auf Reminiszenzen: So gut wie jedes Dorf besitzt einen Friedhof mit Kriegsgräbern; dieser hier liegt bei Gouy am sogenannten Prospect Hill.

Und dann gibt es noch die Erinnerungsstätten wie dieses amerikanische Mémorial bei Bellicourt:

Von hier blickt man direkt auf die Schlachtfelder; irgendwo hier verlief die sinnlose Front in einem sinnlosen Krieg.

Daß Péronne nach vier Jahren Krieg, Belagerung und Beschuß keine historische Altstadt mehr aufweist, kann man der Stadt wirklich nur schwer vorwerfen.

Und wie man an den angebotenen Culinaria erkennen kann, befindet man sich hier in Frankreichs Norden.

Auf der Tour durch das Vermandois kommt man auch in rekordverdächtige Orte. Jedenfalls, was den Ortsnamen angeht.

Y. Viel kürzer geht’s nun wirklich nicht.

Wie feuern die ihr Fußball-Team an? Allez Y? ?

Zwei große Flüsse entspringen in dieser Gegend: Die Escaut / Schelde fließt nach Norden und mündet bei Antwerpen nach 360km in die Nordsee. Die Quelle befindet sich bei Gouy.

Die Somme entspringt nur wenige Kilometer davon entfernt bei Fonsommes. Sie fließt nach Westen, durch Amiens und Abbeville bis zum Ärmelkanal. Auch ihr hat man ein Quellbecken gebaut, das momentan allerdings trockenliegt. Das Wasser kommt erst ein paar Meter dahinter zum Vorschein.

Auf ihren ersten Metern nach dem Quellbassin tarnt sich die Somme dann zunächst einmal ganz hervorragend.

Direkt an der Somme-Quelle stand übrigens mit Fervaques ein… na?… was wohl?… genau: …Zisterzienserkloster! Es sind aber nur noch Reste erhalten, die heute Teil eines Bauernhofes sind. 

Avesnois

Das Avesnois schließt sich nördlich an die Thiérache an und ist eine Grenzregion zu Belgien. Es gehört administrativ größtenteils schon zur Region Nord, was man den Orten auch ansieht; das Stadtbild ähnelt den nordfranzösischen Städten wie Douai, Cambrai oder Béthune. Die größeren Orte wie Hirson oder Fourmies sind nicht wirklich schön, sondern versprühen einen eher spröden Charme.

Fourmies besitzt aber immerhin ein Theater von beachtlicher Größe, für ein Städtchen von 12.000 Einwohnern.

Den Namen hat die Gegend von Avesnes-sur-Helpe. Das Stadtzentrum besteht hier aus viel Backstein; die Häuser gruppieren sich um die große Collégiale.

Die ist im Innenraum noch viel dunkler als es das Bild hergibt; das Smartphone verstärkt das Restlicht. Man sieht in Wirklichkeit das Mittelschiffgewölbe gar nicht.

Die Geschichte der Region erzählt das am Rand der Innenstadt von Fourmies gelegene Écomusée de l’Avesnois, untergebracht in einer alten Textilfabrik.

Und noch ein Freilichtmuseum: Das Musée du Bocage in Sains-du-Nord zeigt ländliche Alltagskultur aus der Bocage, einer typisch nordfranzösischen Landschaft.

Ich bin immer versucht, den Ortsnamen als Seins-du-Nord (statt Sains) zu schreiben… Muß irgendwie mit Sigmund Freud zusammenhängen. ?

Étrœungt ist nicht unbedingt sehenswert, gehört aber zu den Orten, von denen ich mich frage, wie man die korrekt ausspricht und wo solch ein Name herkommt (wie z.B. auch Quaëdypre oder Chaouilley).

Das Avesnois ist im Ganzen also nicht sehr spektakulär, aber dennoch lassen sich hübsche Ecken oder wenigstens ein prächtiger Himmel finden, so wie hier bei Montreuil-les-Dames, wo sich im Mittelalter ein Kloster… naja, usw., das kennt Ihr ja inzwischen. ?

Guise

Die Stadt bietet gleich drei gute Gründe für einen Besuch.

Grund 1: Les Ducs de Guise

Hier waren die Herzöge von Guise ansässig, eine der wichtigsten und einflußreichsten Adelsgeschlechter Frankreichs. Der Herzog Henri I. von Guise führte zum Beispiel im 16. Jahrhundert die katholische Liga an und war einer der Anführer des Mordes am protestantischen Admiral Coligny und in der darauffolgenden berüchtigten Bartholomäusnacht. 1588 wurde er selbst ermordet, auf Geheiß des französischen Königs Henri III. (aus dem Haus Valois). Der war zwar ebenfalls katholisch, aber er hatte seine Gründe. Politik funktionierte im 16. Jahrhundert eben so.

Die herzogliche Burg ist ein wehrhaftes, etwas düster ummauertes Gebäude auf einem Felsen über der Stadt.

Grund 2: Le familistère Godin

Jean-Baptiste Godin, erfolgreicher Industrieller und Inhaber einer Ofenfabrik, gründete 1858 eine genossenschaftliche Wohnanlage für die Arbeiter seiner Fabriken. Das Familistère Godin war somit der erste soziale Wohnungsbau der Moderne und beeinflußte später auch Architekten wie Le Corbusier.

Godin, der selbst ebenfalls eine Wohnung im Familistère besaß, hat man auf dem zentralen Platz vor der schloßartigen Wohnanlage ein Denkmal errichtet. 

Zum Ensemble gehört sogar ein Theater:

Grund 3: Camille Desmoulins

Für mich der Hauptgrund eines Besuches in Guise. Ein glühender Anhänger der Französischen Revolution bin ich ohnehin; ich hatte auch in Varennes-en-Argonne meinen Spaß. Aber so sehr ich Robespierre und Saint-Just auch schätze: Camille Desmoulins verkörpert die Ideale und Ideen der Revolution für mich am besten. Mit berühmt gewordenen Reden im Juli 1789 (“Aux armes!”) trug er zudem wesentlich zum Sturm auf die Bastille bei. Zusammen mit Danton wurde er am 16. Germinal II (5. April 1794) hingerichtet, weil er mit Robespierre, der sein Jugendfreund und Pate seines Kindes war, keine Einigung über den weiteren Weg der Revolution finden konnte und die Schreckensherrschaft ablehnte. Seine Frau Lucile Duplessis wurde acht Tage später ebenfalls guillotiniert.

Am besten schaut man sich einfach Andrzej Wajdas Meisterwerk “Danton” an, mit Gérard Dépardieu in der Titelrolle; da ist auch Desmoulins (gespielt von Patrice Chéreau) ausreichend gewürdigt.

In seiner Geburtsstadt Guise hat man ihm ein Denkmal gesetzt. Lui fait l’honneur aussi: Lapin Républicain.

Thiérache: Églises fortifiées

Die Thiérache, ein Landstrich in der östlichen Picardie, war im 16. und 17. Jahrhundert immer wieder Durchzugsgebiet von Truppen verschiedener Herkunft. Weil dabei die Dörfer immer wieder geplündert und zerstört wurden, wurden die Kirchen durch Türme und Wehrmauern verstärkt, um der Bevölkerung im Kriegsfall Schutz bieten zu können. Etwa 50 dieser “Églises fortifiées” haben sich erhalten; sie sind die Wahrzeichen der Thiérache und über eine touristische Route miteinander verbunden.

Alle 50 habe ich natürlich nicht abgefahren, auch wenn man mir das vermutlich zutraut. Aber fast. ? Naja, jedenfalls einige; ein gutes Dutzend werden es gewesen sein. Und alle sind individuell; es wird (mir) also auch bei der x-ten Wehrkirche nicht langweilig. Zur Dokumentation hier die Orte in der Reihenfolge der Photos: Burelles (Photo oben), Beaurain, Gronard, Prisces, Hary, Plomion, La Bouteille, Origny-en-Thiérache. 

Das Konzept der Wehrkirche war offensichtlich erfolgreich, denn es haben sich ja viele dieser Gebäude erhalten. Das ist ansonsten nicht selbstverständlich in einer quasi permanent von kriegerischen Auseinandersetzungen heimgesuchten Gegend. In der Kirche von La Bouteille ist zum Beispiel ein Modell des Zisterzienserklosters Foigny ausgestellt. 

Vor Ort sieht das dann etwas weniger prachtvoll aus. Von der Klosterkirche, die mit einer Länge von über 100 Metern zu den größten Zisterzienserkirchen zählte, hat sich nur dieser erwa vier Meter hohe Mauerrest erhalten. Die Kapelle daneben ist jüngeren Datums.

Etwas mehr Glück hatte die Abtei Saint-Michel, ein Benediktinerkloster am Stadtrand von Hirson.

Lapin-en-Thiérache: