Sang et Or

Über den Racing Club Lens hatte ich ja schon im April geschrieben, als ich ein Spiel besuchen wollte, aber an einer kurzfristigen Verlegung gescheitert bin. Jetzt bin ich – total zufällig natürlich ? – wieder in der Nähe (von Cambrai sind es etwa 40 Kilometer), und dieses Mal klappt es.

Zu Gast ist der FC Sochaux, und Lens gewinnt mit 2:0. Daß der RC Lens kein normaler Verein ist, zeigt sich an den über 29.000 Zuschauern, die dieses Zweitligaspiel sehen wollen. In der französischen Ligue 2 kommen sonst je nach Verein auch mal bloß 2.000…

Vor dem Spiel bietet die Haupttribüne eine große Choreographie:

Und zu Beginn der zweiten Halbzeit singt das Stadion die Hymne des Nordens: “Au Nord, c’étaient les corons…”

Cambrai

Ich hätte nicht damit gerechnet, daß er ausgerechnet in Cambrai residiert.

Und das Gebäude ist auch nicht sehr feudal. Der Roi des Lapins Voyageurs jedenfalls ist das nicht.

Cambrai gehört schon zu den Städten des Ballungsraumes im Bassin Minier im französischen Norden. Zentrum der Stadt ist die Grand’Place mit dem wuchtigen Rathaus.

Ein paar Schritte weiter steht die Kathedrale Notre-Dame-de-Grâce:

Und auch sonst bietet Cambrai eine Menge beeindruckender Gebäude; die Stadt war im 19. Jahrhundert ein bedeutendes Zentrum der Textilindustrie und entsprechend wohlhabend, ist aber deutlich älter. Das bezeugt zum Beispiel die Porte de Paris aus dem 14. Jahrhundert.

Le Quesnoy

Im Bereich zwischen den Festungen von Valenciennes und Maubeuge sicherte die Festungsstadt Le Quesnoy die französische Nordgrenze.

Im Gegensatz zu Rocroi, das ja etwa 100 Jahre älter ist, stammt sie komplett von Festungsbaumeister Vauban, und zum Teil führen die Festungsgräben um die Bastionen, Contregarden, Démi-Lunes und was sich Vauban sonst noch einfallen ließ, auch noch Wasser.

Allerdings sind die Bastionen in Le Quesnoy teilweise zugewachsen, die Stadt ist auch deutlich größer und lebhafter als Rocroi, und es gibt nicht den gewohnten zentralen Platz in der Stadtmitte. Daher zeigt Le Quesnoy im Zentrum nicht unbedingt Den Charakter einer Festungsstadt, anders als z. B. das beschaulichere Rocroi oder Montmédy.

Die Kirche ist eine typische Kirche aus der Zeit Ludwigs XIV., aber das im Mittelschiff gespannte Netz sorgt nicht gerade für Vertrauen in den baulichen Zustand…

Maroilles, Jenlain etc.

Jetzt wird es aber höchste Zeit, die kulinarischen Spezialitäten der Region zu würdigen. Nicht nur, daß ich im Hotel in Le Nouvion-en-Thiérache jeden Abend ein hervorragendes Menü serviert bekam…

…es gibt natürlich auch hier regionale Spezialitäten. Ich habe noch keine französische Region gefunden, die diesbezüglich nichts bietet. Und ich war inzwischen überall. 

Die Trappistenbiere hatte ich ja schon erwähnt. Es gibt aber noch mehr. In Maroilles wird ein bekannter Käse produziert, der zwischenzeitlich auch mal als “Fromage des Ch’tis” beworben wurde. Biloute, hein!?

Die Form des Maroilles ist traditonell ein Viereck, und so ist die Form des Carrée des Sauveurs in Maroilles nur konsequent.

Ein paar Kilometer weiter nördlich produziert die Brasserie Duyck das bekannte und recht verbreitete Bier Jenlain.

Cambrai (das gleich noch einen eigenen Beitrag erhält) ist bekannt für die Bêtises, Karamellbonbons mit Minze, die in dieser Form schon seit etwa 1850 produziert werden.

Ein Abendessen hatte ich eigentlich hier geplant: Im Répos du Lièvre in Maubert-Fontaine. Aber der ruhende Hase macht noch bis nächste Woche Ferien. Schade.

Dafür gibt es noch eine Begegnung mit einem Lapin. In Form einer Terrine aux Noix… Ja, ich schäme mich über alle Maßen. Es ging mir aber wie damals Maria Theresia bei der ersten polnischen Teilung: Ich weinte, aber ich nahm.

Le Cateau-Cambrésis

Die Kleinstadt Le Cateau wäre vermutlich nicht weiter erwähnenswert, wäre nicht hier 1869 Henri Matisse geboren worden.

Das Wohnhaus der Eltern, in dem Henri aufwuchs, steht allerdings etwa 20 Kilometer südlich in Bohain-en-Vermandois.

Hier steht auch ein großes Hôtel de Ville, das schon deutlich an die nordfranzösischen Rathäuser erinnert. Die Malereien im Foyer stammen nicht von Matisse, sind aber dennoch sehenswert.

In Le Cateau seinerseits gibt es das Musée Matisse, das im Palais Fénelon untergebracht ist. 

Im Garten des Museums findet man u.a. dieses Relief, das der Künstler speziell für das Museum in seiner Geburtsstadt angefertigt hat.

Der Rest der Innenstadt ist Baustelle.

Vaucelles

In Vaucelles steht eine ehemalige Zisterzienserabei, und natürlich war ich schon einmal hier. Damals, anno 2006, jedoch aufgrund eines Planungsfehlers (!) an einem Montag. Die Innenaufnahmen standen also bis jetzt noch aus, und das hole ich nun nach.

In der Französischen Revolution wurde das Kloster aufgelöst, und die Gebäude dienten als Steinbruch. So ist zum Beispiel die fast 130 Meter lange Klosterkirche (sie war größer als Notre-Dame-de-Paris) vollständig verschwunden. Säulenreihen im Garten deuten den Standort an.

Erhalten haben sich ein Flügel der Klostergebäude und das aus dem 18. Jh. stammende Logis Abbatial.

Im Kloster kann man den Saal der Mönche und den Kapitelsaal besichtigen; beide sind so großartig, wie ich es von allen großen Abteien des Ordens gewohnt bin.

Der einzige Störfaktor ist ein olfaktorischer: In der Nähe unterhält der Konzern Mars eine Fabrik für Tierfutter, und so hängt leider stets ein unpassender Geruch von Frolic in der Luft… 

Comme souvent, un Lapin Cistercien.

Avesnois

Das Avesnois schließt sich nördlich an die Thiérache an und ist eine Grenzregion zu Belgien. Es gehört administrativ größtenteils schon zur Region Nord, was man den Orten auch ansieht; das Stadtbild ähnelt den nordfranzösischen Städten wie Douai, Cambrai oder Béthune. Die größeren Orte wie Hirson oder Fourmies sind nicht wirklich schön, sondern versprühen einen eher spröden Charme.

Fourmies besitzt aber immerhin ein Theater von beachtlicher Größe, für ein Städtchen von 12.000 Einwohnern.

Den Namen hat die Gegend von Avesnes-sur-Helpe. Das Stadtzentrum besteht hier aus viel Backstein; die Häuser gruppieren sich um die große Collégiale.

Die ist im Innenraum noch viel dunkler als es das Bild hergibt; das Smartphone verstärkt das Restlicht. Man sieht in Wirklichkeit das Mittelschiffgewölbe gar nicht.

Die Geschichte der Region erzählt das am Rand der Innenstadt von Fourmies gelegene Écomusée de l’Avesnois, untergebracht in einer alten Textilfabrik.

Und noch ein Freilichtmuseum: Das Musée du Bocage in Sains-du-Nord zeigt ländliche Alltagskultur aus der Bocage, einer typisch nordfranzösischen Landschaft.

Ich bin immer versucht, den Ortsnamen als Seins-du-Nord (statt Sains) zu schreiben… Muß irgendwie mit Sigmund Freud zusammenhängen. ?

Étrœungt ist nicht unbedingt sehenswert, gehört aber zu den Orten, von denen ich mich frage, wie man die korrekt ausspricht und wo solch ein Name herkommt (wie z.B. auch Quaëdypre oder Chaouilley).

Das Avesnois ist im Ganzen also nicht sehr spektakulär, aber dennoch lassen sich hübsche Ecken oder wenigstens ein prächtiger Himmel finden, so wie hier bei Montreuil-les-Dames, wo sich im Mittelalter ein Kloster… naja, usw., das kennt Ihr ja inzwischen. ?

Louvre-Lens

Im Zuge einer Art Regionalförderung eröffneten Pariser Museen so etwas wie Zweigstellen in anderen Regionen. So entstanden das Centre Pompidou-Metz (2006-10) und der Louvre-Lens.

Das 2009-12 auf ehemaligem Grubengelände errichtete Gebäude des Louvre-Lens ist von außen wenig spektakulär und ein eher schlichter Quader.

Das Innere ist dafür umso großartiger geworden. Das fängt schon in der Eingangshalle an.

Architektonisches Glanzstück ist aber der riesige Saal, in dem die ständige Sammlung untergebracht ist. Der erhält über eine stützenlose Deckenkonstruktion sehr viel Licht, allerdings nicht direkt (wäre ja nicht gut für die Exponate), sondern durch Gitter etwas gedämpft, was eine sehr schöne Atmosphäre ergibt.

Diese 120m lange und 3.000 qm große Galerie ist als Reise durch die Zeit angelegt (“Galérie du temps”): Vom Jahr 5000 v. Chr. geht man so schrittweise bis in die Zeit Napoleons. An der Seite ist ein Zeitstrahl, an dem man sich orientieren kann. Man hat da eine wirklich sehenswerte Ausstellung zusammengestellt, deren Exponate immer wieder wechseln.

 
In weiteren Trakten ist Platz für Sonderausstellungen, aktuell zur persischen Kunst einerseits und zu italienischen Meistern in nordfranzösischen Museen andererseits. 

Rasant, rasant, Herr Perseus. Aber Andromeda wartet ja auch schon.

Kurzfazit: Der Louvre-Lens ist auf jeden Fall den Besuch wert.

Le Lapin Voyageur au Louvre: À sa place adéquate.

Lens und Liévin

Die beiden Städte Lens und Liévin, mit jeweils etwa 30.000 Einwohnern, liegen dicht beieinander und bilden das Zentrum des Bassin Minier.

Im Zentrum von Liévin steht das Rathaus:

In Liévin stehen noch zwei Fördertürme; die restlichen Grubenanlagen sind nicht erhalten, und die Grubengelände sind zu Gewerbegebieten umgewandelt worden. Deshalb stehen die Fördertürme jetzt etwas sinnlos auf Supermarktparkplätzen herum, so wie Chevalement no. 1:

Am Schacht Nr. 3 Aimé-Tilloy ereignete sich 1974 eine Schlagwetterexplosion. Das Unglück mit 42 Toten bedeutete das Ende des Bergbaus in Liévin; der Abbau wurde danach nicht wieder aufgenommen und die Schächte 1979 verfüllt.

Ein Denkmal erinnert an die Toten.

Lens ist die etwas bekanntere der beiden Städte, was auch daran liegt, daß es Heimat eines der wichtigsten Fußballvereine des Landes ist: Des Racing Club de Lens. Im Januar 1906 gegründet, ist der Verein ein klassischer Bergbau-Club. 1998 gelang den Rot-Gelben (man kann die Farben auch als “Sang et Or”, “Blut und Gold”, interpretieren) die einzige Landesmeisterschaft. Aktuell spielt RC in der zweiten Liga.

Das Stade Bollaert ist ein klassisches Fußballstadion. 1998 fanden hier auch WM-Spiele statt, auch eines der deutschen Mannschaft – und alles, was heute von diesem Spiel noch in Erinnerung bleibt, ist, daß deutsche Hooligans in Lens den Polizisten Daniel Nivel schwer verletzten. Daran wird leider deutlich seltener erinnert als an irgendwelche “Sommermärchen”.

Lens hat ein recht kleines Zentrum um den langgestreckten Hauptplatz mit der Kirche St. Léger von 1924-26 und dem Rathaus, einem etwas düster geratenen 50er-Jahre-Klotz.

2012 erhielt Lens dann im Zuge einer Regionalförderung ein neues Museum: Den Louvre-Lens. Und der kriegt hier gleich noch seinen eigenen Eintrag.

Villeneuve-d’Ascq

Ich muß jetzt mal aus alten Zeiten erzählen. 1992, als es die D-Mark noch gab und die Bundesliga noch spannend war, bin ich mit einem sehr guten Freund in dessen damals schon halb antiken Ford Fiesta durch Nordfrankreich und Belgien gefahren. Damals sind wir auch nach Villeneuve-d’Ascq vor den Toren von Lille gekommen und haben das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst und besichtigt. 

Das war sehr beeindruckend, vor allem die damals ausgestellte zeitgenössische Kunst im Rahmen einer Sonderausstellung zur Avantgarde-Kunst, deren Exponate größtenteils deutlich jünger waren als der erwähnte Fiesta – wobei man manches nur als Ausstellungsstück erkennen konnte, weil es eine Beschreibungstafel gab. Ich war jedenfalls irgendwann so weit, hinter jedem Feuchtigkeitsmeßgerät ein Kunstwerk zu wittern. Unvergessen die Klebebuchstaben an einem Fenster, die das Wort “Ruptured” bildeten (ein Werk von Lawrence Wiener, wie die Ausstellungsbeschreibung mitteilt, die ich tatsächlich aufgehoben habe. Manchmal staune ich selbst über mein Archiv…).

Der Museumsbesuch war also ein echtes Erlebnis und irgendwie prägend; vielleicht ist mein Interesse an zeitgenössischer Kunst dort geweckt worden. Andere Museumsbesuche haben sich jedenfalls nicht unbedingt so tief in der Erinnerung festgesetzt. Und überhaupt war das damals eine richtig schöne Tour. Darauf ein Jenlain.

Schon das Gebäude selbst, ein 1983 eröffneter, von Roland Simounet entworfener Gebäudekomplex, ist sehenswert, sowohl von außen als auch im Inneren.

Auch die ständige Sammlung konnte sich damals und kann sich auch heute noch sehen lassen. Von Picasso über Miró und Modigliani bis Leger sind viele bedeutende Namen der klassischen Moderne vertreten. Daneben sind auch zeitgenössische Kunst und Art Brut Schwerpunkte der Sammlung.

Glanzstück des Museums (wer mag da widersprechen?) ist diese Skulptur des walisischen Künstlers Barry Flanagan, was natürlich den Reisehasen in helle Aufregung versetzt.

Leider war das Werk etwa 1,50m hoch und sonit schlicht zu groß, um es unauffällig mitzunehmen. Ich war kurz davor, es trotzdem zu versuchen. ?

Um das Museum herum ist ein weitläufiger Park angelegt, in dem einige Großskulpturen stehen. 

Ein Besuch lohnt sich hier auf jeden Fall. Nach Umbau und Neueröffnung firmiert das Museum inzwischen unter dem Namen LAM (der vollständige Name ist mir zu lang, irgendwas mit “Lille” und “Art Moderne” jedenfalls). Wer in der Gegend ist, möge dorthin fahren. Es lohnt sich, auch wenn die Ruptured-Buchstaben nicht mehr am Fenster kleben.

Gefällt das: Lapin contemporain.