Wittenberg

Natürlich hat Luther seine Thesen nicht an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg genagelt. Und wenn doch, dann nur zusätzlich, um jemanden seiner Disputationspartner oder aus den Reihen der Universität zu ärgern. Aber auch im 16. Jahrhundert veröffentlichte man gelehrte Schriften nicht, indem man sie irgendwohin nagelte.

Der Reisehase nagelt auch nichts an die Tür. Die ist nämlich inzwischen aus Bronze. Da wäre das sowieso nicht so einfach.

Um diese Tür macht Wittenberg übrigens angenehm wenig Trara. Man hat kein Disneyland herumgebaut, mit Luther-Darstellern und so, sondern läßt die Tür einfach bloß Tür sein. Eine Infotafel genügt. Das würde man sich anderswo auch so dezent wünschen.

Wittenberg ist aber natürlich mehr als nur eine Tür.

Der Markt zum Beispiel bietet ein schönes Ensemble aus monumentalem Rathaus, großer doppeltürmiger Stadtkirche und weiteren Gebäuden, die die Bedeutung herausstellen, die die Universitätsstadt auch schon vor Luther hatte.

Wittenberg zog  damals die besten Köpfe an, zum Beispiel auch Philipp Melanchthon. Die sächsischen Kurfürsten waren ohnehin immer ganz vorne, wenn es um Kultur und Wissenschaft ging. Am Markt liegt zum Beispiel die Cranach-Apotheke. Das Gebäude, inclusive Innenhof, gehörte Lucas Cranach (dem Älteren), der hier Atelier und Malschule unterhielt.

Wittenberg besteht aber nicht nur aus dem 16. Jahrhundert. Etwas außerhalb hat Friedensreich Hundertwasser einen ehemaligen Plattenbau umgestaltet. Heute ist hier eine Schule.

Und im Vorort Piesteritz entstand mitten im Ersten Weltkrieg ein großes Stickstoffwerk zur Herstellung von Kunstdünger. In der Nähe baute man ab 1916 eine damals sehr moderne Gartenstadt; die Pläne kamen von Otto Rudolf Salvisberg, der u.a. auch an der Weißen Stadt in Reinickendorf beteiligt war.

Die Gartenstadt Piesteritz ist noch heute sehr hübsch. Die Häuser sind zwar nicht riesig, aber die Gesamtanlage ist trotzdem deutlich großzügiger als das, was ich täglich sehe, wenn ich in Bad Schönborn aus dem Fenster schaue.

Daß Wittenberg als Ganzes sehenswert ist, dürfte also nicht nur auf einer verzerrten Wahrnehmung beruhen. 😉

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