Der Reisehase kann auch mal gehässig sein. Wenn’s erforderlich ist. Und jetzt ist es mal soweit.
Mindestens genausoviel Aufmerksamkeit bei den Verona-Touristen wie die Arena erfährt auch das Haus der Julia. Für Verona ist es natürlich ein Glücksfall, daß Shakespeare die Handlung seiner Geschichte von Romeo und Julia in die Stadt verlegt hat. So kann sie stolz das Haus (und an anderer Stelle das Grab) der Julia präsentieren.
Es ist ein altes Stadtpalais mitten in der Altstadt, der früher der Familie dal Capello gehörte (was mit Capulet zumindest eine gewisse lautliche Ähnlichkeit aufweist); durch eine Toreinfahrt kommt man in einen kleinen Innenhof. Hier steht eine hübsche Bronzefigur der Julia.
Historisch betrachtet steht das mit dem Haus natürlich auf sehr schwachen Beinen, was nicht zuletzt daran liegt, daß Romeo und Julia nun mal literarische Figuren sind, deren historischer Hintergrund eher dünn ist (und auch Shakespeare sich älterer Quellen und verwandter Stoffe bediente). Aber das ist letztlich auch gar nicht so wichtig; eine Geschichte von Weltrang verdient auch einen festen Ort.
Den Trash-Touristen aber stört das ohnehin nicht; er sucht den Event und hat offenbar seine festgelegte Choreographie: In den Innenhof gehen, dort ein Selfie machen, wie man der Julia-Statue die Hand auf die Brust legt, ein Pflaster mit dem eigenen Namen (und dem des Partners, falls vorhanden, evtl. auch des Wunschpartners) in den Tordurchgang bappen, fertig. Zurück zum Shopping.
So sieht es die Fremdenverkehrswerbung (Photo eines Werbeplakates):
Und so sieht das dann in der Realität aus:
Appelle an die Vernunft der Besucher verhallen weitgehend ungehört.
Dem Balkon im Innenhof, für die (Rezeptions-)Geschichte des Stoffes nicht ganz unwichtig, würdigen nur die wenigsten eines Blickes. Vermutlich nur die 5%, die Romeo und Julia gelesen oder im Theater gesehen haben…
Hab ja geschrieben, ich müßte mal gehässig sein.
Der Balkon ist übrigens sowieso nicht original und wurde erst im 20. Jh. angebaut. Darauf kommt’s dann aber auch nicht mehr an.
Genau wie die kleine Meerjungfrau in Kopenhagen, die ich gern ein paar Meter weiter ins Meer hinaus verlegt sehen würde, um ihr etwas mehr Ruhe zu verschaffen, muß die Julia-Statue einiges ertragen. Da hier kein Meer in der Nähe ist, bräuchte es einen Zaun oder sowas.
Ich verstehe nicht so ganz, wieso an bestimmten Orten so ein Massenauflauf zustandekommt, an dem alle wie die Lemminge einem festen Ablauf folgen. Haben die alle rein zufällig ein Heftpflaster dabei? Kaum. Ich vermute eher, daß Bento oder ein anderes intelligenzfreies Medium mal einen Artikel veröffentlicht hat: “10 Statuen in Europa, mit denen Du ein Selfie gemacht haben mußt”.
Arme Julia.