Vilnius (4)

Die drei baltischen Hauptstädte sind durchaus unterschiedlich. Tallinn ist mittelalterlich und modern gleichzeitig, was man nicht als Widerspruch empfindet, wenn man dort war. Riga hat den romanischen Dom, die gotische Petrikirche, die grandiosen Jugendstil-Viertel, und wer am Domplatz steht und sich nicht auf der Stelle in diese Stadt verliebt, kann kein Herz haben. Tallinn und Riga sind alte Hansestädte, was man ihnen auch ansieht. Vilnius ist anders. Architektonisch ist die Stadt, jedenfalls im Zentrum, zum größten Teil von Barockarchitektur geprägt. So wie hier die Katharinenkirche:

Oder die Kirche St. Kasimir, 1604 von den Jesuiten erbaut und mit 40 Meter hoher Kuppel ausgestattet.

Auch das am südlichen Rand der Innenstadt stehende Tor der Morgenröte stammt aus dem 18. Jahrhundert. Auf Litauisch heißt es Aušros Vartai, auf Englisch ist es als “Gates of Dawn” ausgeschildert, was mich dann an das erste Pink-Floyd-Album erinnert, “The piper at the gates of dawn”, dessen Titel wiederum aus einem anderen schönen Werk stammt: Kenneth Grahames “Der Wind in den Weiden”.

Weder Pink Floyd noch Kenneth Grahame dürften aber an Vilnius gedacht haben, und einen Flötenspieler gibt’s hier auch nicht. Das hiesige Tor der Morgenröte beherbergt aber eine bedeutende Ikone und ist daher auch ein wichtiges Wallfahrtsziel.

Jenseits der zahlreichen Kirchen und Klöster (Wilna wurde früher wahlweise als “Rom des Ostens” oder – wegen der großen jüdischen Gemeinde – als “Jerusalem des Ostens” bezeichnet) kann man auch einfach durch die Straßen des Zentrums stromern und findet an ganz vielen Stellen schöne Häuser und Straßenzeilen, wie hier im Uni-Viertel, das ungefähr zwischen der Kathedrale im Norden und dem Rathaus im Süden liegt.

“Universiteto Vaistine” (die Schrift über der Tür) bedeutet übrigens Universitätsapotheke.

Im Zentrum trifft man auch auf ein herausragendes gotisches Ensemble: Die St. Annenkirche und die Bernhardinerkirche stammen aus der Zeit um 1500:

Das Rathaus ist ein klassizistischer Bau an einer der Kopfseiten des langgestreckten Rathausplatzes (Rotušės aikštė), auf dem sich das Vilniuser Leben abspielt.

Die Innenstadt präsentiert sich also, wie man sieht, schön herausgeputzt. Allerdings kann man auch nicht übersehen, daß es an manchen Stellen noch einen gewissen Renovierungsbedarf gibt.

Wie hier kann man in der ganzen Stadt die litauischen Farben Gelb-Grün-Rot sehen. Mindestens genauso oft begegnet man aber auch dem ukrainischen Blau-Gelb: Im Baltikum ist man sehr solidarisch – weil man das, was die Ukraine gerade erleidet, auch schon durchgemacht hat. 1940 und 1944/45. Russischer Einmarsch, Besatzung, Krieg, Zerstörungen, Deportationen, Hinrichtungen… Daher reagiert man hier und überhaupt im Baltikum, das ja seit mindestens 1918 durch eine gemeinsame Geschichte geprägt ist, sehr empfindlich auf den aktuellen russischen Angriffskrieg.

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