Die Verbindung zwischen dem Ossola-Tal (um Domodossola) und dem Lago Maggiore bildet ein Quertal, das in West-Ost-Richtung verläuft. Es heißt in Italien Valle Vigezzo und in der Schweiz Centovalli. Die Grenze ist zwischen dem kleinen Schweizer Dorf Camedo und einem italienischen Zollhaus, in dessen Umgebung einfach nur viel Wald und gar kein Ort ist. Das Valle Vigezzo/Centovalli ist insgesamt dicht bewaldet, und der Maggia-Nebenfluß Melezza hat sich hier sehr tief in die Berge eingegraben.

Entstanden ist dadurch ein wildes, schwer zugängliches Tal, durch das man trotzdem eine Bahnstrecke gebaut hat, und eine Straße, die es durchaus in sich hat: Sehr kurvig, sehr eng, sehr viel auf und ab. Das Fahren erfordert eine gewisse Voraussicht, denn stellenweise ist die Straße kaum breiter als ein Auto (als maximal erlaubte Breite ist 2,30m angegeben, und viel mehr dürfte es stellenweise auch kaum sein). Einfach nur drauflosfahren und hoffen, daß da schon keiner entgegenkommen wird, funktioniert hier nicht. Auf dem Rückweg ist es etwas leichter. Da stecke ich in der Mitte einer Reihe von elf, zwölf Autos, was sehr bequem ist, weil man sich dann keine Gedanken um den Gegenverkehr machen muß. Das erledigt der Erste in der Reihe. Man muß dann nur den Anschluß halten. Und viel schalten, bremsen, beschleunigen, lenken… So ist Autofahren noch echte Arbeit – und macht endlich mal wieder richtig viel Spaß! 😀

Nach knapp 40 Kilometern ab Domodossola ist man in Intragna angekommen. Der Ort liegt nur ein paar Kilometer von Ascona entfernt am Rand einer Talstufe; im Ort geht es in mehreren Serpentinen nochmals etwa 70 Höhenmeter nach unten. Der kleine Ort leistet sich mit dem Campanile der Kirche San Gottardo den höchsten Kirchturm des Kantons Tessin: Stolze 65 Meter!

Und noch eine Warnung: Nur für den Fall, daß ihr in Intragna seid und euch das Navi in den Ortskern schicken möchte: Laßt es.

Der Name Centovalli, also “hundert Täler”, ist mir erstmals bei einer Folge der Eisenbahn-Romantik untergekommen. Es gibt hier nämlich, wie schon im Startbild zu sehen, eine Bahnstrecke, die ähnlich verwegen angelegt ist wie die Autostraße und vor gut hundert Jahren, 1923, eröffnet wurde. Angesichts der wenigen winzigen Örtchen, die es hinter Intragna nur noch gibt (und Intragna hat auch bloß 900 Einwohner), kann man sowieso auf die Idee kommen, man hat die Bahn nicht gebaut, weil man sie brauchte, sondern nur, weil man zeigen wollte, daß man es kann. Heute verbindet die Centovallibahn Locarno mit Domodossola, wobei sie auf italienischer Seite unter dem Namen Ferrovia Vigezzina fährt.

Es ist eine Schmalspurbahn (Spurweite 1000mm); für Normalspur war in diesem engen Tal kein Platz. Der Fahrbetrieb wird von einer regionalen Bahngesellschaft durchgeführt, die den für englische Ohren eher befremdlichen Namen FART trägt. Das steht für “Ferrovie autolinee regionali ticinesi”; wir sind hier ja im Tessin, also wird italienisch gesprochen. Dieser Zug hier, einer der modernen Triebwagen, die hier fahren, verläßt gerade den Bahnhof Intragna. Natürlich pünktlich.
