Neuchâtel

Eben noch im Saarland, und schon am nächsten Tag geht es in die Schweiz, zum ersten Mal seit erstaunlich vielen Jahren. Und weil ich diesen Post erst am Folgetag und am Computer schreibe, kann ich hemmungslos labern. Es wird also etwas länger.

Ich habe schlimme Dinge über das Schweizer Preisniveau erzählt bekommen, nehme 80 Schweizer Franken mit und hoffe, dafür wenigstens ein Glas Wasser zu bekommen. 😉 Vor Ort in Neuchâtel, dem Ziel der heutigen Tagestour, entpuppen sich die Preise dann allerdings doch als einigermaßen zivil (Referenzwährung Stadionbier: 0,3ltr. für 3,50€). In Zürich oder Basel dürfte es allerdings tatsächlich anders aussehen.

Mit dem Zug erreicht man ab Karlsruhe innerhalb von gut drei Stunden und mit zweimaligem Umsteigen Neuchâtel (Neuenburg). Und allen Unkenrufen insbesondere über die DB zum Trotz: Alle Züge waren pünktlich, die Fahrt in ICE und IC äußerst angenehm und die junge Dame, die Musik hört und laut mitsingt, trifft zwar nicht alle Töne, ist aber ausreichend unterhaltsam, hört immerhin Mylène Farmer und nicht Mark Forster oder ähnlichen Schmonzes und fährt auch nur von Moutier nach Délémont (also dreieinhalb Lieder lang). In der Schweiz sorgen zudem die Durchsagen während der Fahrt für Wohlfühlklima, allein schon weil sie mit der Anrede “Geschätzte Fahrgäste” beginnen.

Neuchâtel liegt am Westufer des Lac de Neuchâtel und somit auf der französischen Seite des sogenannten Röstigraben, der den deutschsprachigen vom französischsprachigen Landesteil der Schweiz trennt. Bonjour statt Grüezi. Die Lage am Seeufer und auf dem terrassenförmig zu den Kalkbergen des Schweizer Jura ansteigenden Gelände ist das große Plus der Stadt: Die schöne Seepromenade zieht sich weit am Ufer entlang, vorbei auch am Segelboothafen und an hübschen Parkanlagen.

Die Seepromenade ist von La Maladiére im Osten bis zum Strand von L’Evole mehr als zwei Kilometer lang. Genug Platz also auch für nette kleine Details wie die alten, bunt bemalten Hütten am Hafenbecken oder das Belle-Époque-Denkmal am Quai Osterwald.

Berühmtester Sohn der Stadt ist Friedrich Dürrenmatt, der hier auch lebte; zahlreiche seiner Werke spielen in der Umgebung (“Der Richter und sein Henker” beispielsweise etwas nördlich am Bieler See). Sein etwas außerhalb gelegenes und mit bestem Blick über den See ausgestattete Wohnhaus wurde nach seinem Tod von Architekt Mario Botta (der Ruhri kennt vielleicht dessen Landesbibliothek in Dortmund) umgebaut und beherbergt heute das Museum Centre Dürrenmatt. Hauptsehenswürdigkeit der Stadt, von See und Promenade abgesehen, ist das auf einem ersten Felsen oberhalb des Sees gelegene Ensemble aus Schloß (in dem heute die Kantonsverwaltung untergebracht ist) und Kollegiatskirche. Letztere ist in den Schloßhof hineingebaut, war ursprünglich romanisch und präsentiert sich heute im neugotischen Stil der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Stadt und Grafschaft waren ursprünglich burgundisch – das “novum castellum” entstand im 11. Jahrhundert – und gehörten später zum preußischen Königreich: 1814 wurde Neuenburg Schweizer Kanton, blieb aber dennoch bis 1848 preußisches Fürstentum (eine einzigartige Sonderrolle innerhalb der Eidgenossenschaft).

Schön ist auch das Hôtel du Peyrou am Rand der Innenstadt, mit tollem Kräutergarten (da habe ich noch etwas zu tun).

Nordöstlich der Innenstadt von Neuchâtel liegt das Viertel La Maladière mit dem gleichnamigen Stadion. Der Name Maladière erinnert noch an das Kranken- und Lepra-Spital, das im Mittelalter hier angesiedelt war, schön außerhalb der Stadtgrenzen natürlich, um jegliche Ansteckung zu vermeiden. Das Stadion ist ein Neubau, der von außen vor allem deshalb an ein Einkaufszentrum erinnert, weil er eines ist: Das Shopping-Center besteht aus vier Trakten, deren Innenseiten die Tribünenränge bilden, die um den Kunstrasenplatz in der Mitte gruppiert sind. Neben dem Einkaufszentrum beherbergen die Tribünenbauten auch Parkähuser, Sporthallen und ein Feuerwehrhaus.

Von außen deuten ausschließlich die vier erstaunlicherweise traditionellen Flutlichtmasten darauf hin, daß hier auch Fußball gespielt wird, und zwar vom Neuchâtel Xamax, 1916 gegründet und nach dem Mitgründer Max “Xam” Abegglen benannt. 1987 und 1988 wurden die Rot-Schwarzen unter der elsässischen Spieler- und Trainerlegende Gilbert Gress zweimal Schweizer Meister. 2011 wurde der Verein dann vom tschetschenischen Oligarchen Bulat Tschagajew übernommen und binnen kurzer Zeit zugrunde gerichtet und finanziell in die Grütze geritten; 2012 mußte Xamax Konkurs anmelden. Eine der abstrusesten Geschichten im an seltsamen Geschichten ja nicht gerade armen modernen Fußball. Das, was vom Verein noch übrig war, fand sich im Amateurbereich wieder, arbeitete sich durch die Ligen nach oben und spielt inzwischen wieder in der zweiten Liga. Heute geht’s gegen den FC Vaduz (die Liechtensteiner Vereine (es gibt ohnehin nur sechs Stück) spielen in den Schweizer Ligen).

Und nach dem Spiel geht’s dann die etwa hundert Höhenmeter hinauf zum Bahnhof und in vier Stunden wieder zurück. Nicht unbedingt entspannend, aber spannend. D’Reishäsli sagt Merci vielmol.

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